Zauberhafte Sommerserenade

Eine Art Serenaden-Hors d\'oeuvre vor dem delikaten Hauptgang der Ratshausoper: das \

Eine Art Serenaden-Hors d’oeuvre vor dem delikaten Hauptgang der Ratshausoper: das „Konzert zur Oper“ im Wessenberg-Arkadenhof mit der Sopranistin Sonja Mäsing und dem Pianisten Bernhard Renzikowski. Bild: Hanser

Ein kleines, hochfeines Jubiläum: Zum zehnten Mal gab es das Serenaden-Hors d’oeuvre vor dem delikaten Hauptgang der Ratshausoper. Der Abend war mediterran wohltemperiert, Kirschlorbeer fasste die vier Arkaden ein, groteske Masken lächelten von den Fensterbögen, ein Brunnenfaun lauschte und alle Plätze waren besetzt. Peter Bauer grüßte Solisten und Gäste und versprach für Mozarts „Zaide“ im Rathaushof Exquisites: Orientalische Klassik, Mozart-Bravour und die musiktheatralische Rarität des „Melodramatischen“. Das Orientalische und das Melodramatische servierte die zauberhafte Vorkost des Serenaden-Programms. Es führte zu „fremden Ländern und Menschen“. Mit diesem Motto und Schumann-Satz lockte der Pianist und opernerprobte Korrepetitor Bernhard Renzikowski in die romantische Abendmusik. Er spielte es gediegen und zugleich wie ein Präludium zum späteren Märchen von der Nachtigall: Dynamisch harfende Kunst- und sangliche Volkspoesie trafen sich in lyrisch noblem Flügelschlag.

Die „Zaide“-Sopranistin Sonja Mäsing führte sodann mit einer bis ins Seelenvolle gesteigerte Stimm- und Ausdrucksfülle auf den Doppel-Divan Goethes. „Doppelt“ nicht nur wegen des global West-Östlichen, sondern auch, weil der Großklassiker einige Gedichte der verehrten „Suleika“ Marianne von Willemer aus dem westlichen Frankfurt ins Werk des Östlich-Weimarischen aufgenommen hat. Von ihr die Frage „Was bedeutet die Bewegung“ – und Schubert hat sie mit einem großen, fast zum Hymnischen aufsteigenden Lied beantwortet.

Die Solistin fand den Ton des Fragens, das Melos der zarten Melancholie, aber auch den Aufschwung dorthin, wo „Feld und Hügel prangen“. Das Echt-Goethesche „Ach, um deine feuchten Schwingen“ wurde mit gesteigertem Aufwand und fast tänzerischer Schnell-Bravour am Ende gesungen. Die Sängerin erfreute durch helle Höhe, Übergangskunst vom Liedhaften zum Emphatischen.

Das Opernhafte kam zu seinem Recht im Divan-Duett „Suleika und Hatem“ von Fanny Hensel (Mendelssohns Schwester). Der Tenor Ilja Werger fand in der dritten Duett-Strophe zu stattlichem Ton, ein wenig übervibriert, doch in der Kadenz mit elegantem Operntimbre. In der Loewe-Heine-Ballade von jenem „Asra“ („welche sterben, wenn sie lieben“) gelang ihm festerer Klang, in der Tiefe mehr Rezitation, in der Höhe fast heldisches Forte. Seine sangliche Vielseitigkeit bewährte sich in nachromantischen Partien: Kopfstimmen-Belcanto in Zemlinskys „Orientalischem Sonett“, aphoristisch gelungene Rezitation in Blachers „Sinnsprüchen“. Wie im zweiten Spruch der Pianist das Drei-Ton-Motiv nuancierte, der Sänger den Text musikalisch komprimierte, war so gekonnt wie die Kurz-Koloratur des orientalischen Sprüche- und Zeltmachers Omar.

Der Bariton Felipe Peiró führte sicher zum sanglichen Gipfel der Serenade, auch weil die Hafis-Lieder von Viktor Ullmann (mit 46 Jahren in Auschwitz ermordet) die reichsten Vorlagen bereithielt. Die „Vorausbestimmung“ des Sängers (nämlich für Wein und Schenke) wurde zur Humoreske – jedes Wort deutlich, jede Linie stimmklar.

Über den torkelnden Rhythmen des trunkenen Liedes inszenierte er mitreißendes Melos, die „Schönheit“ feierte er mit einem Nocturno-Gesang, den Wein lobte er mit Leidenschaft, gemischt aus Fortelust und promillefreier Deklamation.

Mitten zwischen die Gesänge mischte sich die Märchen-Chinoiserie von Andersen. Der Schauspieler Henning Kober las „Die Nachtigall“, der Pianist malte dazu mit impressionistischer Delikatesse (sanfte Triller, muntere Spieluhrmechanik, fernöstliche Quinten, kaiserliche Rhythmen) die Klangkulissen. Dieses Melodram von Arnold Winternitz (1874-1928 – wie Zemlinksy und Ullmann dem Schönberg-Kreis verpflichtet, aber nicht hörig) war ein rechtes Märchen- und zugleich Theaterereignis.

Denn der Mime las in beruhigendem Plauderton, er inszenierte den Text. Wie er Worte wie „Porzellan“ intonierte, wie es sein pianistisches Echo fand, wie er die Hofschranzen artikulierte, oder liebevoll von der „kleinen lebenden Nachtigall“ schwärmte, ehe sie über Salon-Arpeggien aus den Tasten trillerte und der Pianist aus dem Flügel Celesta-Klänge zauberte, das war ein Serenaden-Märchen, ein Erzähl-Melodram, das nicht nur kurzweilte, sondern mit allen Künsten dieser Serenade die Verlockung auf die mit diesen Tonkünsten von fremden Ländern und Menschen spielende „Zaide“ Mozarts steigerte. Fünf „Vorhänge“ – die Künstlerverbeugungen wurden immer tiefer, aber die Kraft für eine Zugabe sparte man für die Opernarbeit auf.

Autor: Helmut Weidhase, 05.08.08

Zurück zur Übersicht